FAQs

In den Diskussionen um die Bestrebungen nach Unabhängigkeit in der spanischen Region Katalonien tauchen immer wieder dieselben Thesen auf. Der Autor Raul Zelik hat mehrere FAQs zum katalanischen Konflikt zusammengetragen, entnommen von seiner Homepage www.raulzelik.net und leicht gekürzt.


Die FAQs hier zum Download als PDF: Format DIN A4 und Format DIN A3

1) Warum sucht Katalonien eigentlich keinen Kompromiss?
Die katalanische Seite sucht seit 20 Jahren einen Kompromiss, wird vom Zentralstaat aber schlicht und einfach zurückgewiesen.
Dazu muss man wissen, dass die Unabhängigkeitsbewegung bis Mitte der 2000er Jahre in Katalonien sowieso nur eine marginale Rolle spielte. Dass sie seitdem so stark geworden ist, hat damit zu tun, dass der Zentralstaat den Reformversuch in den 2000er Jahren blockierte. 2005/2006 versuchte eine Mitte-Linkskoalition aus PSOE (Sozialdemokraten), Grünen (ICV) und katalanischen Linksrepublikanern (ERC) nämlich das Autonomiestatut zu erneuern. Es ging um eine Anerkennung der Plurinationalität Spaniens und Reformen, die ein föderales System ermöglicht hätten. Dieses Autonomiestatut wurde erst von der PSOE-Mehrheit im gesamtspanischen Parlament beschnitten, dann 2010 vom Verfassungsgericht ganz für illegal erklärt.
Viele Menschen sagten sich darauf hin: Wenn nicht einmal mit der Sozialdemokratie föderale Reformen möglich sind, werden wir innerhalb Spaniens nie etwas verändern können. Als Antwort gehen seither jährlich mehr als eine Million der 7 Millionen KatalanInnen auf die Straße und fordern das Recht, „selbst zu entscheiden“.

2) Eine demokratische Reform Spaniens wäre doch viel besser.
Eine demokratische Reform Spaniens scheint aber unmöglich. In den 2000er Jahren ist sie an der PSOE gescheitert, Podemos ist 2015 auf 20 Prozent gekommen.

3) Na schön, aber es gibt ja auch eine Verfassung, die bestimmte Reformen und ein Unabhängigkeitsreferendum verbietet.
Genau diese Verfassung ist das Problem. Sie wurde 1978 verabschiedet, als Spanien noch eine faschistische Diktatur war. Spaniens Öffnung war das Resultat eines Paktes zwischen den alten Eliten der Franco-Diktatur und der PSOE. Dieser Staatspakt modernisierte Spanien, sicherte den Franquisten aber ihre Machtpositionen in Polizei, Justiz und Großkonzernen. Außerdem wurde Spanien dauerhaft zu einem monarchistischen Zentralstaat mit Autonomiegemeinschaften (die der Zentralstaat jederzeit einseitig suspendieren kann). Eine föderale Lösung und die Gründung einer Republik wurden damit ausgeschlossen.
Und: Der Verfassungspakt von 1978 ermöglichte, dass die Verbrechen der Franco-Diktatur bis heute ungesühnt geblieben sind.

4) Was haben die KatalanInnen gegen den König?
Sein Vater hat Spanien doch immerhin die Demokratie gebracht.
Nichts falscher als das. König Juan Carlos wurde von Francisco Franco als Nachfolger auserkoren und ausgebildet. An den Vorbereitungen zum Putsch faschistischer Militärs 1981, mit dem weitere Zugeständnisse an Minderheiten und politische Linke verhindert werden sollten, war König Juan Carlos beteiligt.

5) Die katalanische Rechte hat die ­Verfassung 1978 aktiv mitgetragen.
Ja, die katalanische Rechtspartei Convergència i Unió [an der Frage der Unabhängigkeit 2015 zerbrochen] hat (wie PSOE und PCE) den Verfassungspakt 1978 unterstützt. Aber der Wunsch nach Unabhängigkeit und die Unzufriedenheit mit dem Staatspakt sind von der Bevölkerung artikuliert worden, nicht von der katalanischen Regierungspartei. Es waren lokale Bürgerbewegungen, die die Unabhängigkeit seit 2009 auf die Tagesordnung gesetzt und die katalanischen Parteien vor sich hergetrieben haben. Es war ein Aufbegehren gegen das Modell von 78 und seine Eliten – die spanischen, aber teilweise auch die katalanischen.

6) Wozu brauchen wir in Europa ­einen neuen Staat? Wir wollen doch weniger Nationalstaaten.
Viele demokratische und soziale Reformen, die das katalanische Parlament in den letzten sechs Jahren verabschiedet hat, werden vom Zentralstaat blockiert. Insgesamt sind 39 fortschrittliche Gesetze anulliert oder blockiert worden. Zum Beispiel Gesetze gegen Zwangsräumungen, gegen Energiearmut (von GeringverdienerInnen), gegen den Einsatz von Gummigeschossen durch die Polizei oder für ein Grundeinkommen.
Außerdem soll mit der Proklamation der Republik ein partizipativer verfassunggebender Prozess eröffnet werden. Auf Bürgerversammlungen soll über die Grundlagen der neuen Republik debattiert werden. Es gibt einen ausgearbeiteten Plan, wie ein solcher, partizipativer Verfassungsprozess aussehen könnte. Nirgends sonst in Europa gibt es ein vergleichbares Angebot demokratischer Massenbeteiligung.

7) Aber letztlich geht es doch nur ums Geld. Die Katalanen sind ja viel reicher als der Rest Spaniens.
Na ja, im Moment riskiert das katalanische Bürgertums vor allem große finanzielle Verluste. Mehrere ihrer Anführer*innen sind inhaftiert oder im Exil und müssen damit rechnen, lange ins Gefängnis zu gehen.
Außerdem ist Katalonien längst nicht so wohlhabend, wie oft behauptet wird. Die Arbeitslosenraten liegt nur ein bis zwei Prozent unter dem spanischen Durchschnitt, das Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt ist niedriger als das der Autonomiegemeinschaft Madrid. Richtig ist allerdings, dass viele KatalanInnen kritisieren, sie würden zu viele Steuergelder an den Zentralstaat zahlen. Aber man muss auch sehen: Der Zentralstaat verteilt diese nach Gutdünken unter Geschäftspartnern; bei den andalusischen Landarbeitern landen sie nicht.
Vielleicht lässt sich wirtschaftliche Komponente des Konflikts andersherum viel treffender beschreiben: Das ökonomische Modell der zentralspanischen Eliten war immer extraktiv (und nicht produktiv) ausgerichtet: Es beruhte auf der Ausbeutung von Kolonien, auf Großgrundbesitz und zuletzt auf Immobilienspekulation. Akkumulation durch Landnahme würden Marxisten sagen. Deswegen stellt der Verlust der politischen Macht für die zentralspanischen Eliten auch ökonomisch eine so große Bedrohung dar.

8) Was soll die Unabhängigkeit? ­Selbstregierung ist in Europa doch sowieso nicht möglich.
Jein, denn warum sollte eine progressivere Gesellschaftsmehrheit in einer neuen Republik nicht auch progressivere Politik durchsetzen können? Sicher würde die EU schnell Druck ausüben. Aber es gibt ein paar Aspekte, die trotz EU sofort spürbar wären: der Abzug der reaktionären Guardia Civil und der politischen Justiz z.B. Und auch andere Reformen – vom Schutz des Wohnraums über die Aufarbeitung franquistischer Verbrechen bis hin zur Förderung von Genossenschaften – wären trotz EU durchsetzbar. Solche Reformen haben in Katalonien heute klare gesellschaftliche Mehrheiten und sie haben mit dem ökonomischen Rahmen der EU eher wenig zu tun.

9) Aber das alles facht den Nationalismus an.
In Katalonien wird „Souveränität“ heute als Synonym für das politische und demokratische Selbstbestimmungsrecht der BürgerInnen verstanden. Nationalistische und identitäre Fragen spielen in der Debatte kaum eine Rolle.
Ja, auf der spanischen Seite geht es seit ein paar Tagen erschreckend viel um Nationalstolz. Aber das sollte für AntifaschistInnen ein Argument sein, sich eindeutig – wenn schon nicht auf der katalanischen Seite, dann zumindest – gegen die zentralspanische Politik zu positionieren. Die Madrider Regierung und Teile der spanischen Mehrheitsgesellschaft kokettieren offen mit der Gewalt des Franquismus. Sie erinnern an die Möglichkeit, republikanische, linke oder katalanische Positionen zu vernichten. Aber dieser reaktionäre Nationalismus entsteht nicht neu – er war immer da. Und das ist genau auch einer der Gründe, warum die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien so stark geworden ist.

10) Die Unabhängigkeitsbewegung wird von der katalanischen Rechten angeführt.
Nein, die Bewegung ist aus lokalen Bürgeriniativen entstanden und bezog ihre Kraft in den letzten Monaten aus der Selbstorganisierung von Nachbarschaften [dazu gehören auch die „Komitees zur Verteidigung der Republik“, Comitè de Defensa de la República CDR]. Zehntausende haben sich zum Beispiel an der illegalen Durchführung des Referendums und der Verteidigung der Wahllokale beteiligt. Diese Massenbeteiligung hat auch die bürgerliche Rechte (zumindest vorübergehend) verändert. Die Rechte bekennt sich heute zur Einwanderung, zur Mehrsprachigkeit, zum verfassunggebenden Prozess, zum zivilen Ungehorsam und zu sozialen Rechten. Das ist eine wichtige Diskursverschiebung und es ist erfreulich, dass auch bürgerliche Parteien sie mittragen.

11) Die spanische Linke ist gegen eine Unabhängigkeitserklärung.
Die katalanischen Sektionen von Podemos und Izquierda Unida (IU) sind für die Ausrufung einer Republik – am Liebsten im Rahmen einer Konföderation von Republiken. Die Madrider Parteizentralen von Podemos und IU sind hingegen gegen weitere Schritte.
Dahinter stehen allerdings wahltaktische Erwägungen. Katalonien und das Baskenland sind die einzigen beiden Regionen, wo UnidosPodemos bei den Wahlen 2016 stärkste Partei wurde. UnidosPodemos will diese WählerInnen halten und bei der spanischen Mehrheitsgesellschaft nicht zu stark anecken.
Aber ist es links, gesellschaftliche Prozesse den Wahlinteressen von Parteien unterzuordnen?

12) Weder Rajoy noch ­Puigdemont.
Ganz falsch! Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy lässt die Bevölkerung verprügeln, der katalanische will die Bevölkerung abstimmen lassen und riskiert dafür, ins Gefängnis zugehen.
Auch wenn einem das komisch vorkommen mag: Es gibt heute nicht viele europäische Linke, die bereit sind, so viel aufs Spiel zu setzen wie der katalanische Regierungschef in diesen Tagen. [Der Text wurde vor der Festsetzung Piugdemonts in Deutschland verfasst.]

13) Das Risiko einer Unabhängigkeitserklärung ist zu hoch. Spanien kann jetzt ganz nach rechts rücken.
Das Risiko ist hoch. Aber es ist hoch, weil sich Europa und europäische Liberale und Linke nicht positionieren. Der Wille nach Selbstregierung ist immer legitim, die Bereitschaft zur Selbstermächtigung bleibt nie ohne Reaktion. Aber die katalanische Seite sucht weder Bürgerkrieg noch Straßenschlacht. Sie stellt sich der Staatsmacht unbewaffnet entgegen. Hier gibt es eine Massenbewegung, die mehr selbst entscheiden will, und eine Staatsmacht, die das mit Gewalt verhindern möchte.

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